L2 Stärkung der Europäischen Öffentlichkeit

Die Bundestagsabgeordneten der SPD und eine Bundesregierung unter Beteiligung der SPD werden aufgefordert, sich für eine deutliche Stärkung der medialen Europäischen Öffentlichkeit auf EU-Ebene einzusetzen, die inhaltlich identisch und simultan in allen (Amts-) Sprachen der Europäischen Union in geeigneter Form wie z.B. Rundfunkan-stalten, Internetplattformen stattfindet und alle EU-Staaten erreicht.

Begründung:

Der Europäischen Union als Verbund ihrer Mitgliedsstaaten steht unter starkem Druck, sich auf gemeinsames Vorgehen zu verständigen. Gleichzeitig fehlt gerade kontroversen EU-Entscheidungen die Akzeptanz in den Mitgliedsstaaten. Ein Grund hierfür ist das Fehlen einer ausreichend etablierten gemeinsamen Europäische Öffentlichkeit, in der politische Anliegen außerhalb von EU-Parlament und der Vertretung einzelner Mitgliedsstaaten grenzüberschrei-tend diskutiert werden.

 

In jedem Mitgliedsstaat wird bisher gesondert über Aktivitäten auf EU-Ebene berichtet und debattiert. Bestenfalls informieren nationale Medien vom Meinungsstand in einem anderen Mitgliedsstaat. Es gibt jedoch außerhalb von thematisch begrenzter Inhalte fast keine grenzüberschreitende Meinungsbildung der EU-Bürgerinnen und –Bürger, keine europäische Zeitung, nur vornehmlich informatorische Rundfunkangebote wie euronews, Livestream von Parlaments-/Ausschusssitzungen, jedoch keine europaweit wirkenden Kommentare, politischen Streitgespräche, keine europaweit ausreichend genutzte Plattform für den Austausch von Sichtweisen, der auch Sprachgrenzen überwindet und Bürger:innen beteiligt.

 

Dabei garantiert die Europäische Grundrechtecharta auf EU-Ebene die Freiheit der gemein-samen politischen Willensbildung. In Art. 11 heißt es nach dem Recht auf grenzüberschrei-tende Meinungsfreiheit: „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“ Diese Charta geht wie selbstverständlich davon aus, dass es Medien gibt, die frei und plural grenzüberschreitend, sogar EU-weit tätig sind und eine Europäische Öffentlichkeit existiert.

 

Ohne ausreichend gemeinsame Öffentlichkeit bleibt die Meinungsbildung auf EU-Ebene schwach und vornehmlich auf Repräsentanten der Mitgliedsstaaten begrenzt. Ihr fehlt die gemeinsame politische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger über nationale und Sprachraum-Grenzen hinweg und damit der willensbildende Unterbau.

 

In der Folge fehlt vielen Entscheidungen auf EU-Ebene die nach gemeinsamer Willens-bildung gefundene Unterstützung aus den Bevölkerungen der EU-Staaten. Dabei erfordert die Lage außerhalb der EU eigentlich mehr Verbindlichkeit und Unterstützung von gemeinsamen EU-Interessen.

 

Genau hier setzt der Beschlussantrag an, denn der freie europäische Medienmarkt hat trotz technischer Möglichkeit eine Europäische Öffentlichkeit bisher nicht in einer Weise hervorgebracht, dass EU-Anliegen europaweit über Sprachgrenzen hinweg gemeinsam diskutiert werden. Es genügt nunmal nicht, dass eine z.B. Fachministerin den Diskussions-stand und die EU-Pläne in nationalen Medien wiedergibt bzw. bewertet oder von EU-Themen in Landessprache berichtet wird. Viemehrt bedarf es einer öffentlichen Diskussion mit Fachministern aus mehreren EU-Staaten unter Beteiligung der Menschen, welche inhaltlich identisch und simultan in allen europäischen (Amts-)Sprachen stattfindet. Hierfür fehlen noch immer Kommunikationsformate. Gemeinsame Anliegen in EU-Europa werden in sprachlich abgegrenzten nationalen Teilöffentlichkeiten diskutiert, falls dies überhaupt stattfindet.

 

Die vorhandenen grenzüberschreitenden Angebote wie z.B. Euronews, Eurosport, Arte, Politik-Portale/Blogs im Internet, das TV des Europäischen Parlaments und die Europäische Rundfunkunion (EBU) bieten entweder thematisch sehr begrenzte Formate der Meinungsbildung wie beim ESC oder eröffnen keinen simultanen Austausch, keine Interaktion über Sprachgrenzen hinweg. Zudem sind sie von geringer Reichweite.

 

Die nationalstaatliche bzw. sprachraumbegrenzte Teilöffentlichkeiten können das Öffentlichkeitsdefizit auf EU-Ebene auch in ihrer Summe nicht ausgleichen. In einer zumeist sprachraumbegrenzten Teilöffentlichkeit ist die Behandlung europäischer Themen nicht nur von jeweils national geprägten Medienakteuren abhängig, für wie relevant ein Thema gehalten wird. Sie beruht zudem auf sprachraumbegrenzten Erzählungen, z.B. „Überregulierung aus Brüssel“. Die Folge sind ein mitunter vollkommen unterschiedlicher Informationsstand und national geprägte Sichtweisen zum selben europäischen Thema. Bei entgegengesetzten Interessen zwischen den Mitgliedsstaaten (Beispiel: Umfang der gemeinsamen Verschuldung, Energieimporte) kann eine unterschiedliche Besprechung des Themas in der jeweiligen nationalen Teilöffentlichkeit die Einigungfindung in der EU verhindern.

 

Die Verstärkung von Sichtweisen innerhalb jeweils nationaler bzw. sprachraumbegrenzter Teilöffentlichkeiten trägt zudem das Potential einer tiefen Spaltung innerhalb der EU in sich, denn der Blick durch die nationale Brille auf ein europäischer Thema kann den Ansichten in den Teilöffentlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten so deutlich entgegen stehen, dass bei sehr kontroversen Themen Vertreter eines Mitgliedstaats in der EU, aber auch Europäische Parla-mentarier eine Verständigung mit Vertretern anderer EU-Staaten nicht mehr wagen, weil sie das Ergebnis in ihrer nationalen Teilöffentlichkeit nach dem dort zuvor geführten Diskurs nicht ohne einen hohen Glaubwürdigkeitsverlust und Reputationsschaden vertreten könnten, Naheliegenderweise auch nicht vertreten und deshalb eine tragfähige Verständigung auf EU-Ebene verhindert wird. In einer starken Europäischen Öffentlichkeit würde sich die jeweils nationale Berichterstattung bzw. nationale Erzählungen am europäischen Diskurs messen lassen müssen und könnten innnerhalb der nationalen Teilöffentlichkeit deutlich hinterfragt werden. Umgekehrt würde dies für die EU-Ebene ebenso gelten.

 

Der Entscheidungsprozess in der EU wäre mit einer gleichartigen Kontrolle der Arbeit Europäischer Institutionen durch eine Europäische Öffentlichkeit zudem deutlich transparenter und nachvollziehbarer, wie es bei auch sehr streitigen Entscheidungsprozessen innerhalb der Mitgliedsstaaten eingeübt und von Bürger:innen mit anderer Meinung überwiegend akzeptiert wird.

 

Die EU würde weniger als Elitenprojekt der Vertreter einzelner EU-Staaten, der EU-Institu-tionen und der einzelnen Lobbyorganisationen wahrgenommen, denn eine gestärkte Euro-päische Öffentlichkeit kann eine nicht zu unterschätzende Kontrolle durch Diskurs jedweder politischen Initiative ausüben.