Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden rd. 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt, traumatisiert und ermordet. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
Das Leid der Zivilbevölkerung Gazas ist eine Tatsache. Schon vor dem Beginn des Krieges im Oktober 2023 war die Situation für die zivile Bevölkerung durch jahrelange Blockaden, wiederholte militärische Auseinandersetzung zwischen der Hamas und dem israelischen Militär und eine daraus resultierende humanitäre Krise unerträglich. Seit dem Kriegsausbruch sind zehntausende Menschen in Gaza getötet worden, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Fast alle der zwei Millionenen Palästinenser*innen im Gazastreifen mussten wiederholt ihr Zuhause verlassen und fliehen. 90 Prozent der zivilen Infrastruktur ist zerstört, viele Menschen haben alles verloren. Der Wiederaufbau der Lebensgrundlagen im Gazastreifen wird Schätzungen zufolge selbst im optimistischen Szenario bis mindestens 2034 dauern.
Bei Teilen der Bevölkerung Gazas herrschte eine Hungersnot, die sich auf das gesamte Gebiet auszuweiten drohte. Das Gesundheitssystem von Gaza wurde weitgehend zerstört. Es fehlt an Essen, Trinken, Medikamenten, wetterfesten Unterkünften und warmer Kleidung, was zu weiteren Toten führt – zuletzt sogar zu erfrorenen Neugeborenen. Durch den Zusammenbruch der zivilen Ordnung und mangelndem Zugang humanitärer Helfer*innen konnten Hilfsgüter zudem oftmals die notleidende Bevölkerung in Gaza nicht erreichen. Immer wieder kam es außerdem zu einem Wechsel der als sicher bezeichneten Gebiete. Menschen wurden dadurch erneut zur Flucht gezwungen.
Die israelische Regierung weist nach wie vor kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung vor. Die Vertreibung von mehr als 400.000 Palästinenser*innen aus dem Norden Gazas, die dortige wochenlange Blockade jeglicher Hilfsgüter und die völlige Zerstörung jeglicher Gesundheitsinfrastruktur verschärfte die humanitäre Katastrophe noch weiter. Gleichzeitig führten das Grenzregime der israelischen Regierung, die anfänglichen Angriffe der Hamas auf die Grenzübergänge und die Plünderungen der Hilfskonvois dazu, dass die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern massiv erschwert wurde. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel diesbezüglich bereits dreimal nachdrücklich durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen aufgefordert, den uneingeschränkten Zugang humanitärer Güter und Helfer*innen in Gaza sicherzustellen. In seiner veröffentlichten Begründung für die Haftbefehle gegen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant benennt der IStGH die Nichterfüllung dieser Maßnahmen seitens Israel explizit als einen Faktor für deren Erlassung.
Stets haben wir uns als Sozialdemokrat*innen als Teil einer aktiven internationalen Freiheits- sowie Friedensbewegung verstanden. Der Kampf um eine gerechte Gesellschaft wird nicht nur innerstaatlich, sondern im Verbund mit der internationalen Ebene geführt. Wir bekennen uns nach wie vor zu unseren Beschlüssen “Friedenspolitik aktiv gestalten!” aus dem Jahr 2015 sowie zu “Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten” aus dem Jahr 2023 und wollen an diese anknüpfen.
Wir trauern um alle unschuldigen Opfer des Konflikts und stehen solidarisch an der Seite ihrer Angehörigen. Wir hoffen inständig auf die vollständige Umsetzung des Abkommens zwischen der israelischen Regierung und der Hamas. Die Geiseln müssen freigelassen werden, die Bombardierung Gazas muss eingestellt und die Zivilbevölkerung muss dringend mit ausreichend Nahrungsmitteln und gesundheitlich versorgt werden.
Eine sozialdemokratische Perspektive für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten muss jedoch darüber hinausgehen. Für uns ist klar: Der Einsatz für Frieden, Sicherheit und die universelle Einhaltung des Völkerrechts im Nahen Osten entspricht unseren sozialdemokratischen Werten und unserer Verpflichtung gegenüber dem internationalen Völkerrecht, wie es Art. 25 des Grundgesetzes vorgibt. Der deutschen Verantwortung zum Schutz Israels nachzukommen, bedeutet für uns auch das Eintreten für eine langfristige Friedensperspektive für Israel und seine Nachbarstaaten.
Wir Sozialdemokrat*innen stehen fest an der Seite Israels, bekennen uns zu seinem Existenzrecht und verurteilen den Terrorismus der Hamas am 7. Oktober 2023 aufs Schärfste. Der verheerende Angriff hat uns tief erschüttert. Der Schutzraum Israel für Jüd*innen weltweit, jahrzehntelang ein Zufluchtsort zunächst für die Überlebenden des Holocausts aus Europa, später Migrationsziel für Jüd*innen aus arabischen Staaten, von Algerien bis Irak, noch später aus der Sowjetunion und neuerdings u.a. aus Frankreich wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Frieden und Sicherheit Israels mit seinen Nachbarstaaten ist trotz zaghafter Normalisierungsprozesse z.B. mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bisher eher frommer Wunsch als Realität gewesen.
Gleiche Solidarität gilt für uns Sozialdemokrat*innen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza: wir sind entsetzt über zehntausende Todesopfer sowie über die massive Zerstörung der Infrastruktur und der Lebensgrundlagen der Menschen im Gazastreifen seit Kriegsbeginn. Palästinenser*innen auch außerhalb Gazas haben ein Recht auf ein Leben frei von Not und Furcht. Dies ist für sie jedoch alles andere als Realität – ohne eigenen unabhängigen Staat, unter israelischer Besatzung im Westjordanland und auch noch Jahrzehnte nach der Nakba (Vertreibung) vertrieben oder geflüchtet in Ländern wie etwa Libanon und Jordanien, wo sie vielfach ein Dasein in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Marginalisierung fristen. Besonders schwierig war die Lage auch schon vor dem 7. Oktober 2023 in Gaza. Seit der faktischen Machtübernahme der militanten Hamas im Jahr 2007 war das Leben der Zivilbevölkerung geprägt von massiven Freiheitsbeschränkungen einschließlich Folter einerseits, aber auch durch die De-facto-Abriegelung der Außengrenzen des Gazastreifens zu Israel und Ägypten durch diese beiden Länder. Dies führte zu einer großen wirtschaftlichen und sozialen Krise und zur Abhängigkeit des Gaza-Streifens von internationalen Hilfsgütern und Geldern.
Vier Punkte erachten wir aus sozialdemokratischer Perspektive als zentral für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten:
Recht auf eine Selbstverteidigung Israels innerhalb seiner völkerrechtlich bestimmten Grenzen
Wir bekennen uns zu Israels Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet, findet aber im Völkerrecht auch seine Grenzen. Massive dokumentierte Verletzungen des humanitären und des allgemeinen Völkerrechts, wie sie seit dem 7. Oktober 2023 täglich durch das israelische Militär in Gaza geschehen sind, können und dürfen nicht mit dem völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstverteidigung gerechtfertigt und von Deutschland unterstützt werden.
Selbstbestimmungsrecht und menschenwürdiges Leben für die Palästinenser*innen
Wir treten wir für die Rechte der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung und ein menschenwürdiges Leben ein. Dies schließt die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates auf allen derzeit völkerrechtswidrig besetzten Gebieten mit ein. Für uns ist dies kein Widerspruch, sondern die zweite Seite einer verantwortungsvollen und solidarischen deutschen Außenpolitik im Nahen Osten.
In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu wahren, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs sowie des Internationalen Strafgerichtshofs und treten dafür nachhaltig international ein.
Das gezielte Aushungern (“Starvation”) der Zivilbevölkerung Gazas ist die Hauptgrundlage der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant.
Wiederaufbau und Aufarbeitung als Voraussetzung für Frieden und Sicherheit
Für einen gerechten Frieden, welcher sowohl das Selbstbestimmungsrecht als auch die menschliche Sicherheit von Israeli*nnen und Palästinenser*innen im Rahmen der Zweistaatenlösung achtet, braucht es einen umfassenden Wiederaufbau des vollständig zerstörten Gazastreifen sowie der palästinensischen Siedlungen im Westjordanland, aus denen ihre Bewohner*innen über die letzten Jahre vertrieben wurden. Es braucht zudem eine massive internationale Perspektivenerweiterung für die Palästinenser*innen, in Form von Austauschprogrammen, Stipendien, Verwaltungs- und Städtepartnerschaften. Nur durch eine vollständige und auf Augenhöhe erfolgende IIntegration der Palästinenser*innen in die internationale Gemeinschaft kann eine nachhaltige Demilitarisierung und Demokratisierung erreicht werden. Sowohl die Verbrechen der Hamas am und nach dem 7. Oktober als auch die seither in Gaza und der Westbank mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen gegen palästinensische Zivilist*innen müssen auf beiden Seiten vollständig aufgearbeitet werden. Wo notwendig, müssen (internationale) Gerichte aktiv werden.
Die Umsetzung der Zweistaatenlösung diplomatisch vorantreiben
Die Eskalationen in der Region zeigen, dass es dringend einen neuen Anlauf für Fortschritte in der Zweistaatenlösung braucht.
Die deutsche Bundesregierung muss sich weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat und dessen friedliche Koexistenz mit Israel einsetzen, der in den Grenzen der palästinensischen Gebiete – Westbank, Gazastreifen und Ostjerusalem – von vor dem Sechstagekrieg (der Grenzen vom 4. Juni 1967) sicher und anerkannt existieren kann.
Die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Union sollte noch mehr als bisher eine aktive diplomatische Rolle übernehmen und die Friedensbemühungen in den Vereinten Nationen vorantreiben.
Gerade jetzt vor dem Hintergrund der Aussagen von Donald Trump muss sich die deutsche Bundesregierung weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat einsetzen. Jegliche Maßnahmen einer erzwungenen Deportation oder einer „freiwilligen Emigration“, wie durch die Trump-Administration vorgeschlagen, würden ein Kriegsverbrechen darstellen und lehnen wir deshalb vehement ab.
Am 19. Juli 2024 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) ein durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegebenes Gutachten über die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten. In diesem stellt der IGH u.a. fest, dass die anhaltende Präsenz des Staates Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig ist und alle Staaten verpflichtet sind, keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Besatzung zu leisten. Dieses Gutachten ist nicht rechtsverbindlich. Jedoch stehen die sich dem universellen Völkerrecht und Multilateralismus verpflichtende Bundesrepublik und insbesondere die SPD als internationalistische Partei in der Verantwortung, die durch die höchstrangige Institution internationaler Rechtsprechung gefassten Bewertungen unverzüglich umzusetzen.
Dies bedeutet, dass die deutsche Nahostpolitik an die Inhalte des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, ebenso wie an alle anderen gefassten Entscheidungen internationaler völkerrechtlicher Instanzen, angepasst werden muss. Dabei ist sorgfältig zwischen dem Staatsgebiet Israels und den illegal besetzten Gebieten zu unterscheiden. Diese Anpassung sollte der Bundesregierung umso eher möglich sein, als die Rechtsauffassung, dass die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig sind, seit vielen Jahren offizielle Position der Bundesrepublik und der EU ist. Das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967 steht dabei selbstverständlich außer Frage. Der Internationale Strafgerichtshof hat am 21. November 2024 Haftbefehle gegen den obersten Hamas-Führer der Qassem-Brigaden Mohammed Deif sowie den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und ehemaligen. Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Für uns ist dies ein klarer Indikator dafür, dass auch die deutsche Bundesregierung ihre Bemühungen für Deeskalation und die universelle Einhaltung des Völkerrechts verstärken muss.
Daher fordern wir:
1. Die vollumfängliche Umsetzung aller drei Phasen des vereinbarten Waffenstillstands, um weitere zivile Opfer und Zerstörung in der Region zu verhindern und die Freilassung aller Geiseln zu sichern.
2. Die israelische Regierung dazu aufzufordern, gemäß der am 26. Januar und am 28. März 2024 durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen sowie des Waffenstillstandsabkommens alle möglichen Maßnahmen zur Herstellung einer ausreichenden humanitären Versorgung Gazas zu implementieren: der vollumfängliche Zugang humanitärer Lieferungen nach Gaza, insbesondere auch durch UNRWA, die Ermöglichung einer vollständigen Wieder-Instandsetzung und Betriebsaufnahme von Krankenhäusern, ein voll funktionaler Deconfliction-Mechanismus welcher die Sicherheit aller humanitärer Helfer*innen gewährleistet, eine Einfuhrerlaubnis allen notwendigen medizinischen Geräts, die Öffnung und Offenhaltung aller verfügbaren Grenzübergänge (einschl. Häfen) für humanitäre Lieferungen – auch aus Israel selbst -, eine massive Beschleunigung der zeitraubenden Inspektionen, die multilaterale Erarbeitung und Implementierung eines umfassenden zivilen Schutz- und Wiederaufbaukonzepts einschließlich dessen Finanzierungs- und die vollumfassende Visaausstellung für humanitäres Personal der Vereinten Nationen.
3. Ein besonderes Augenmerk muss auf die angemessene Versorgung von Frauen und Kindern in Gaza gelegt werden, die inmitten der humanitären Katastrophe besonders vulnerabel sind. Dies umfasst u.a. die ausreichende Versorgung von Schwangeren und gebärenden Personen und ein Ende der Einstufung zahlreicher humanitärer Güter – z.B. Hygienekits und Datteln – als potenzielle „Dual Use“-Produkte, deren mögliche Verwendung durch die Hamas als Grund für langwierige Inspektionen und Zurückweisungen durch israelische Checkpoints dienten.
4. Angesichts der laut World Food Programme in Teilen noch bestehenden Hungersnot in Gaza soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass neben der massiv gesteigerten Einfuhr humanitäre Güter auch eine umfassende Strategie für die Prävention und Bekämpfung langfristiger Hungerfolgen für die gesamte Bevölkerung Gazas implementiert wird.
5. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das Gesundheitssystem im Gazastreifen, welches laut Ärzte ohne Grenzen, in großen Teilen zerstört wurde, mit Priorität unmittelbar wieder aufgebaut wird, um sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Die Bundesregierung sollte zudem umfassende medizinische Evakuierungs- und Behandlungsprogramme für Zivilist*innen aus Gaza umsetzen.
6. Da die israelische Regierung den durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen bisher nicht nachgekommen ist und insbesondere weiterhin kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung Gazas sowie deren politischer Zukunft vorlegt, muss die Bundesregierung unmittelbare Konsequenzen für ihre politische und materielle Unterstützung der israelischen Regierung beschließen. Vor diesem Hintergrund sind weitere militärische Offensiven und Abriegelungen für humanitäre Güter völlig inakzeptabel und sollten u.a. mit einem Exportstopp der in Gaza verwendeten Rüstungsgüter beantwortet werden. Gleiches muss für Rüstungsgüter gelten, welche Israel für eine expansive Verschiebung der Grenzen in Syrien und im Libanon einsetzen könnte.
7. Die Bundesregierung muss sich öffentlich dafür einsetzen, dass dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und weiteren entsprechenden (juristischen) Vertreter*innen vollumfänglicher Zugang zu palästinensischen Inhaftierten gewährt wird, sowie, dass deren Grundrechte gewahrt werden. Dies umfasst auch die Abschaffung der sog. Administrativhaft, welche eine unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage und Verfahren ermöglicht.
8. Für die Herstellung öffentlicher ziviler Ordnung in Gaza und zur Verhinderung eines (Wieder)Erstarkens der Hamas muss die Bundesregierung nachdrücklicher als bislang für die sofortige Einbindung der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Wiederaufbau auf Basis der bereits entwickelten Reformkonzepte drängen.
Neben obenstehenden Forderungen zur unmittelbaren humanitären Lage stellen wir nachstehende Forderungen hinsichtlich des mittel- bis langfristigen Engagements der Bundesregierung mit dem Ziel einer politischen Lösung des Nahostkonflikts.
9. Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Eine möglichst zeitnahe Aufnahme des IStGH in die sog. EU-Blockingverordnung (ein EU-Instrument, welches europäische Wirtschaftsteilnehmende (z.B. Banken) vor den Auswirkungen extraterritorialer (US-) sanktionen schützt) zur Milderung der Auswirkungen von US-Sanktionen ist unabdingbar. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
10. Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung weiter dafür einsetzen, dass das durch die Vereinten Nationen zusammengestellte ein Ermittler*innenteam, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat, trotz der bisherigen Ablehnung der israelischen Regierung seine Arbeit aufnehmen kann.
11. Wir stehen zur Zwei-Staaten-Lösung. Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch Resolution 242 des VN-Sicherheitsrates von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung proaktiv an der 2025 durch Frankreich und Saudi-Arabien organisierten Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung teilnehmen und im Nachgang die Weiterführung dieses Prozesses mit allen relevanten Akteur*innen, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung maßgeblich mit voranbringen. Die Umsetzung des von der Knesset beschlossenen Tätigkeitsverbots der UNRWA auf israelischem Staatsgebiet ab dem 30 Januar 2025 sollte als Zeichen der israelischen Regierung gewertet werden, die VN-Resolution 242 nicht umsetzen zu wollen. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab durch Deutschland muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
12. Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite, welche sich bislang einer politischen Lösung des Konflikts und der Existenz eines palästinensischen Staates verweigert.
13. Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften und ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.
14. Angesichts des Nahostkonflikts eine unabhängige und transparente Evaluierung des deutschen Handelns und der Fremdwahrnehmung Deutschlands im Globalen Süden durchzuführen, insbesondere in der Region Nahost und Nordafrika. Um langfristig als glaubwürdiger, wertegeleiteter Partner angesehen zu werden, wird es neben Bemühungen der strategischen Kommunikation ein umfassendes Engagement mit der dortigen Zivilgesellschaft benötigen. Diese muss in Anlehnung an die Leitlinien Feministische Außenpolitik und die Strategie für Feministische Entwicklungszusammenarbeit erfolgen, und von einer weiteren Mittelstreichung für feministische Organisationen absehen, welche sich vor Ort für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
15. Die anhaltende Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet als rechtswidrig und nicht legal anzuerkennen und so zu benennen (anstelle aktueller Sprachregelung “illegaler Siedlungsbau”). Daher ist die rechtswidrige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden. Den derzeit mit internationaler Unterstützung ausgearbeiteten Reformplänen der Palästinensischen Autorität (PA) muss umfassend Raum zur Realisierung gegeben werden, um einer reformierten PA in allen palästinensischen Gebieten die notwendige Legitimität zu verleihen. Dies ist die Voraussetzung für eine Mitgestaltung der politischen Lösung durch die PA. Alle durch Israel zurückgehaltenen Steuereinnahmen der PA sind sofort auszuzahlen. Alle Siedler sind aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren. Die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, welche dieses IGH-Gutachten angefordert hat, und der Sicherheitsrat sollten die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen, die erforderlich sind, um der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. Das mit deutscher Zustimmung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Dezember 2024 in Auftrag gegebene weitere IGH-Gutachten zu den israelischen Verpflichtungen für die Umsetzung des ersten Gutachtens vom 19. Juli 2024 ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung.
16. Bei der Aufrechterhaltung der völkerrechtswidrigen israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete ist keine deutsche und europäische Unterstützung zu leisten. Die Bundesregierung sollte im EU-Rahmen an der Entwicklung eines Mechanismus mitwirken, welcher die Umsetzung des IGH-Gutachtens zum Ziel hat.
17. Es ist sicherzustellen, dass die Bundesregierung im EU-Rahmen eine Suspendierung der handelspolitischen Elemente des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel nicht blockiert bis zur vollumfänglichen Umsetzung der Forderungen des IGH-Gutachtens, der durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen hinsichtlich der humanitären Situation in Gaza sowie der Haftbefehle des IStGH. Auch bei weiteren Initiativen für die Schaffung eines gerechten Friedens in Nahost, die durch eine Mehrheit der EU-Staaten getragen wird, sollte die Bundesregierung ein Fortkommen nicht behindert.
Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden rd. 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt, traumatisiert und ermordet. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
Das Leid der Zivilbevölkerung Gazas ist eine Tatsache. Schon vor dem Beginn des Krieges im Oktober 2023 war die Situation für die zivile Bevölkerung durch jahrelange Blockaden, wiederholte militärische Auseinandersetzung zwischen der Hamas und dem israelischen Militär und eine daraus resultierende humanitäre Krise unerträglich. Seit dem Kriegsausbruch sind zehntausende Menschen in Gaza getötet worden, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Fast alle der zwei Millionenen Palästinenser*innen im Gazastreifen mussten wiederholt ihr Zuhause verlassen und fliehen. 90 Prozent der zivilen Infrastruktur ist zerstört, viele Menschen haben alles verloren. Der Wiederaufbau der Lebensgrundlagen im Gazastreifen wird Schätzungen zufolge selbst im optimistischen Szenario bis mindestens 2034 dauern.
Bei Teilen der Bevölkerung Gazas herrschte eine Hungersnot, die sich auf das gesamte Gebiet auszuweiten drohte. Das Gesundheitssystem von Gaza wurde weitgehend zerstört. Es fehlt an Essen, Trinken, Medikamenten, wetterfesten Unterkünften und warmer Kleidung, was zu weiteren Toten führt – zuletzt sogar zu erfrorenen Neugeborenen. Durch den Zusammenbruch der zivilen Ordnung und mangelndem Zugang humanitärer Helfer*innen konnten Hilfsgüter zudem oftmals die notleidende Bevölkerung in Gaza nicht erreichen. Immer wieder kam es außerdem zu einem Wechsel der als sicher bezeichneten Gebiete. Menschen wurden dadurch erneut zur Flucht gezwungen.
Die israelische Regierung weist nach wie vor kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung und mit ihrer einseitigen Beendigung der Feuerpause sowie ihres Abbruchs der Verhandlungen für Phase 2 des Abkommens keinen politischen Willen für eine Beendigung des Leids in Gaza sowie der verbleibenden israelischen Geiseln und ihrer Familien vor. Die Wiederaufnahme der Luftangriffe auf Gaza, welche binnen weniger Stunden zahlreiche Todesopfer, davon ein Großteil Kinder und Frauen forderte, müssen in die politische Bewertung der Bundesregierung hinsichtlich in Richtung einer dringenden Politikanpassung im Nahostkonflikt fließen.
Die Vertreibung von mehr als 400.000 Palästinenser*innen aus dem Norden Gazas, die wiederholte, nun abermals seit Wochen entgegen des Abkommens der Feuerpause, Blockade jeglicher Hilfsgüter und die völlige Zerstörung jeglicher Gesundheitsinfrastruktur verschärfen die humanitäre Katastrophe noch weiter. Gleichzeitig führten das Grenzregime der israelischen Regierung, die anfänglichen Angriffe der Hamas auf die Grenzübergänge und die Plünderungen der Hilfskonvois dazu, dass die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern massiv erschwert wurde. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel diesbezüglich bereits dreimal nachdrücklich durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen aufgefordert, den uneingeschränkten Zugang humanitärer Güter und Helfer*innen in Gaza sicherzustellen. In seiner veröffentlichten Begründung für die Haftbefehle gegen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant benennt der IStGH die Nichterfüllung dieser Maßnahmen seitens Israel explizit als einen Faktor für deren Erlassung.
Stets haben wir uns als Sozialdemokrat*innen als Teil einer aktiven internationalen Freiheits- sowie Friedensbewegung verstanden. Der Kampf um eine gerechte Gesellschaft wird nicht nur innerstaatlich, sondern im Verbund mit der internationalen Ebene geführt. Wir bekennen uns nach wie vor zu unseren Beschlüssen “Friedenspolitik aktiv gestalten!” aus dem Jahr 2015 sowie zu “Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten” aus dem Jahr 2023 und wollen an diese anknüpfen.
Wir trauern um alle unschuldigen Opfer des Konflikts und stehen solidarisch an der Seite ihrer Angehörigen. Die Geiseln müssen freigelassen werden, die Bombardierung Gazas und die Raketenangriffe der Hamas auf Israel müssen eingestellt und die Zivilbevölkerung muss dringend mit ausreichend Nahrungsmitteln und gesundheitlich versorgt werden. Wir fordern beide Seiten zur sofortigen Rückkehr an den Verhandlungstisch zur Wiederaufnahme und vollständigen Umsetzung aller drei Phasen des Abkommens auf.
Eine sozialdemokratische Perspektive für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten muss jedoch darüber hinausgehen. Für uns ist klar: Der Einsatz für Frieden, Sicherheit und die universelle Einhaltung des Völkerrechts im Nahen Osten entspricht unseren sozialdemokratischen Werten und unserer Verpflichtung gegenüber dem internationalen Völkerrecht, wie es Art. 25 des Grundgesetzes vorgibt. Der deutschen Verantwortung zum Schutz Israels nachzukommen, bedeutet für uns auch das Eintreten für eine langfristige Friedensperspektive für Israel und seine Nachbarstaaten.
Wir Sozialdemokrat*innen stehen fest an der Seite Israels, bekennen uns zu seinem Existenzrecht und verurteilen den Terrorismus der Hamas am 7. Oktober 2023 aufs Schärfste. Der verheerende Angriff hat uns tief erschüttert. Der Schutzraum Israel für Jüd*innen weltweit, jahrzehntelang ein Zufluchtsort zunächst für die Überlebenden des Holocausts aus Europa, später Migrationsziel für Jüd*innen aus arabischen Staaten, von Algerien bis Irak, noch später aus der Sowjetunion und neuerdings u.a. aus Frankreich wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Frieden und Sicherheit Israels mit seinen Nachbarstaaten ist trotz zaghafter Normalisierungsprozesse z.B. mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bisher eher frommer Wunsch als Realität gewesen.
Gleiche Solidarität gilt für uns Sozialdemokrat*innen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza: wir sind entsetzt über zehntausende Todesopfer sowie über die massive Zerstörung der Infrastruktur und der Lebensgrundlagen der Menschen im Gazastreifen seit Kriegsbeginn. Palästinenser*innen auch außerhalb Gazas haben ein Recht auf ein Leben frei von Not und Furcht. Dies ist für sie jedoch alles andere als Realität – ohne eigenen unabhängigen Staat, unter israelischer Besatzung im Westjordanland und auch noch Jahrzehnte nach der Nakba (Vertreibung) vertrieben oder geflüchtet in Ländern wie etwa Libanon und Jordanien, wo sie vielfach ein Dasein in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Marginalisierung fristen. Besonders schwierig war die Lage auch schon vor dem 7. Oktober 2023 in Gaza. Seit der faktischen Machtübernahme der militanten Hamas im Jahr 2007 war das Leben der Zivilbevölkerung geprägt von massiven Freiheitsbeschränkungen einschließlich Folter einerseits, aber auch durch die De-facto-Abriegelung der Außengrenzen des Gazastreifens zu Israel und Ägypten durch diese beiden Länder. Dies führte zu einer großen wirtschaftlichen und sozialen Krise und zur Abhängigkeit des Gaza-Streifens von internationalen Hilfsgütern und Geldern.
Vier Punkte erachten wir aus sozialdemokratischer Perspektive als zentral für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten:
Recht auf eine Selbstverteidigung Israels innerhalb seiner völkerrechtlich bestimmten Grenzen
Wir bekennen uns zu Israels Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet, findet aber im Völkerrecht auch seine Grenzen. Massive dokumentierte Verletzungen des humanitären und des allgemeinen Völkerrechts, wie sie seit dem 7. Oktober 2023 täglich durch das israelische Militär in Gaza geschehen sind, können und dürfen nicht mit dem völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstverteidigung gerechtfertigt und von Deutschland unterstützt werden. Die Wiederaufnahme von Kampfhandlungen, einschl. der Vollblockade jeglicher humanitärer Versorgung und die Wiederaufnahme der Bombardierung und Bodenoffensive ist vor diesem Hintergrund inakzeptabel.
Selbstbestimmungsrecht und menschenwürdiges Leben für die Palästinenser*innen
Wir treten wir für die Rechte der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung und ein menschenwürdiges Leben ein. Dies schließt die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates auf allen derzeit völkerrechtswidrig besetzten Gebieten mit ein. Für uns ist dies kein Widerspruch, sondern die zweite Seite einer verantwortungsvollen und solidarischen deutschen Außenpolitik im Nahen Osten.
In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu wahren, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs sowie des Internationalen Strafgerichtshofs und treten dafür nachhaltig international ein.
Das gezielte Aushungern (“Starvation”) der Zivilbevölkerung Gazas ist die Hauptgrundlage der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant.
Wiederaufbau und Aufarbeitung als Voraussetzung für Frieden und Sicherheit
Für einen gerechten Frieden, welcher sowohl das Selbstbestimmungsrecht als auch die menschliche Sicherheit von Israeli*nnen und Palästinenser*innen im Rahmen der Zweistaatenlösung achtet, braucht es einen umfassenden Wiederaufbau des vollständig zerstörten Gazastreifen sowie der palästinensischen Siedlungen im Westjordanland, aus denen ihre Bewohner*innen über die letzten Jahre vertrieben wurden. Es braucht zudem eine massive internationale Perspektivenerweiterung für die Palästinenser*innen, in Form von Austauschprogrammen, Stipendien, Verwaltungs- und Städtepartnerschaften. Nur durch eine vollständige und auf Augenhöhe erfolgende IIntegration der Palästinenser*innen in die internationale Gemeinschaft kann eine nachhaltige Demilitarisierung und Demokratisierung erreicht werden. Sowohl die Verbrechen der Hamas am und nach dem 7. Oktober als auch die seither in Gaza und der Westbank mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen gegen palästinensische Zivilist*innen müssen auf beiden Seiten vollständig aufgearbeitet werden. Wo notwendig, müssen (internationale) Gerichte aktiv werden.
Die Umsetzung der Zweistaatenlösung diplomatisch vorantreiben
Die Eskalationen in der Region zeigen, dass es dringend einen neuen Anlauf für Fortschritte in der Zweistaatenlösung braucht.
Die deutsche Bundesregierung muss sich weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat und dessen friedliche Koexistenz mit Israel einsetzen, der in den Grenzen der palästinensischen Gebiete – Westbank, Gazastreifen und Ostjerusalem – von vor dem Sechstagekrieg (der Grenzen vom 4. Juni 1967) sicher und anerkannt existieren kann.
Die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Union sollte noch mehr als bisher eine aktive diplomatische Rolle übernehmen und die Friedensbemühungen in den Vereinten Nationen vorantreiben.
Gerade jetzt vor dem Hintergrund der Aussagen von Donald Trump muss sich die deutsche Bundesregierung weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat einsetzen. Jegliche Maßnahmen einer erzwungenen Deportation oder einer „freiwilligen Emigration“, wie durch die Trump-Administration vorgeschlagen, würden ein Kriegsverbrechen darstellen und lehnen wir deshalb vehement ab.
Am 19. Juli 2024 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) ein durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegebenes Gutachten über die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten. In diesem stellt der IGH u.a. fest, dass die anhaltende Präsenz des Staates Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig ist und alle Staaten verpflichtet sind, keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Besatzung zu leisten. Dieses Gutachten ist nicht rechtsverbindlich. Jedoch stehen die sich dem universellen Völkerrecht und Multilateralismus verpflichtende Bundesrepublik und insbesondere die SPD als internationalistische Partei in der Verantwortung, die durch die höchstrangige Institution internationaler Rechtsprechung gefassten Bewertungen unverzüglich umzusetzen.
Dies bedeutet, dass die deutsche Nahostpolitik an die Inhalte des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, ebenso wie an alle anderen gefassten Entscheidungen internationaler völkerrechtlicher Instanzen, angepasst werden muss. Dabei ist sorgfältig zwischen dem Staatsgebiet Israels und den illegal besetzten Gebieten zu unterscheiden. Diese Anpassung sollte der Bundesregierung umso eher möglich sein, als die Rechtsauffassung, dass die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig sind, seit vielen Jahren offizielle Position der Bundesrepublik und der EU ist. Das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967 steht dabei selbstverständlich außer Frage. Der Internationale Strafgerichtshof hat am 21. November 2024 Haftbefehle gegen den obersten Hamas-Führer der Qassem-Brigaden Mohammed Deif sowie den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und ehemaligen. Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Für uns ist dies ein klarer Indikator dafür, dass auch die deutsche Bundesregierung ihre Bemühungen für Deeskalation und die universelle Einhaltung des Völkerrechts verstärken muss.
Daher fordern wir:
1. Die vollumfängliche Umsetzung aller drei Phasen des vereinbarten Waffenstillstands, um weitere zivile Opfer und Zerstörung in der Region zu verhindern und die Freilassung aller Geiseln zu sichern.
2. Die israelische Regierung dazu aufzufordern, gemäß der am 26. Januar und am 28. März 2024 durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen sowie des Waffenstillstandsabkommens alle möglichen Maßnahmen zur Herstellung einer ausreichenden humanitären Versorgung Gazas zu implementieren: der vollumfängliche Zugang humanitärer Lieferungen nach Gaza, insbesondere auch durch UNRWA, die Ermöglichung einer vollständigen Wieder-Instandsetzung und Betriebsaufnahme von Krankenhäusern, ein voll funktionaler Deconfliction-Mechanismus welcher die Sicherheit aller humanitärer Helfer*innen gewährleistet, eine Einfuhrerlaubnis allen notwendigen medizinischen Geräts, die Öffnung und Offenhaltung aller verfügbaren Grenzübergänge (einschl. Häfen) für humanitäre Lieferungen – auch aus Israel selbst -, eine massive Beschleunigung der zeitraubenden Inspektionen, die multilaterale Erarbeitung und Implementierung eines umfassenden zivilen Schutz- und Wiederaufbaukonzepts einschließlich dessen Finanzierungs- und die vollumfassende Visaausstellung für humanitäres Personal der Vereinten Nationen.
3. Ein besonderes Augenmerk muss auf die angemessene Versorgung von Frauen und Kindern in Gaza gelegt werden, die inmitten der humanitären Katastrophe besonders vulnerabel sind. Dies umfasst u.a. die ausreichende Versorgung von Schwangeren und gebärenden Personen und ein Ende der Einstufung zahlreicher humanitärer Güter – z.B. Hygienekits und Datteln – als potenzielle „Dual Use“-Produkte, deren mögliche Verwendung durch die Hamas als Grund für langwierige Inspektionen und Zurückweisungen durch israelische Checkpoints dienten.
4. Angesichts der laut World Food Programme in Teilen noch bestehenden Hungersnot in Gaza soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass neben der massiv gesteigerten Einfuhr humanitäre Güter auch eine umfassende Strategie für die Prävention und Bekämpfung langfristiger Hungerfolgen für die gesamte Bevölkerung Gazas implementiert wird.
5. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das Gesundheitssystem im Gazastreifen, welches laut Ärzte ohne Grenzen, in großen Teilen zerstört wurde, mit Priorität unmittelbar wieder aufgebaut wird, um sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Die Bundesregierung sollte zudem umfassende medizinische Evakuierungs- und Behandlungsprogramme für Zivilist*innen aus Gaza umsetzen.
6. Da die israelische Regierung den durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen bisher nicht nachgekommen ist und insbesondere weiterhin kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung Gazas sowie deren politischer Zukunft vorlegt, muss die Bundesregierung unmittelbare Konsequenzen für ihre politische und materielle Unterstützung der israelischen Regierung beschließen. Vor diesem Hintergrund sind weitere militärische Offensiven und Abriegelungen für humanitäre Güter völlig inakzeptabel und sollten u.a. mit einem Exportstopp der in Gaza verwendeten Rüstungsgüter beantwortet werden. Gleiches muss für Rüstungsgüter gelten, welche Israel für eine expansive Verschiebung der Grenzen in Syrien und im Libanon einsetzen könnte.
7. Die Bundesregierung muss sich öffentlich dafür einsetzen, dass dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und weiteren entsprechenden (juristischen) Vertreter*innen vollumfänglicher Zugang zu palästinensischen Inhaftierten gewährt wird, sowie, dass deren Grundrechte gewahrt werden. Dies umfasst auch die Abschaffung der sog. Administrativhaft, welche eine unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage und Verfahren ermöglicht.
8. Für die Herstellung öffentlicher ziviler Ordnung in Gaza und zur Verhinderung eines (Wieder)Erstarkens der Hamas muss die Bundesregierung nachdrücklicher als bislang für die sofortige Einbindung der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Wiederaufbau auf Basis der bereits entwickelten Reformkonzepte drängen.
Neben obenstehenden Forderungen zur unmittelbaren humanitären Lage stellen wir nachstehende Forderungen hinsichtlich des mittel- bis langfristigen Engagements der Bundesregierung mit dem Ziel einer politischen Lösung des Nahostkonflikts.
„Deutschland muss sich weiterhin zum Völkerrecht und zum Völkerstrafrecht bekennen. Anders als vor nationalen Gerichten haben Staats- und Ministerpräsidenten sowie Außenminister vor internationalen Strafgerichten wie dem IStGH keine Immunität. Im Falle der Einreise einer solchen mit Haftbefehl gesuchten Person nach Deutschland, muss deren Verhaftung und die Überstellung an das Gericht erfolgen, ohne dass deutsche Behörden oder Gerichte hier ein eigenes Ermessen hätten.“
9. Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Eine möglichst zeitnahe Aufnahme des IStGH in die sog. EU-Blockingverordnung (ein EU-Instrument, welches europäische Wirtschaftsteilnehmende (z.B. Banken) vor den Auswirkungen extraterritorialer (US-) sanktionen schützt) zur Milderung der Auswirkungen von US-Sanktionen ist unabdingbar. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
10. Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung weiter dafür einsetzen, dass das durch die Vereinten Nationen zusammengestellte ein Ermittler*innenteam, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat, trotz der bisherigen Ablehnung der israelischen Regierung seine Arbeit aufnehmen kann.
11. Wir stehen zur Zwei-Staaten-Lösung. Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch Resolution 242 des VN-Sicherheitsrates von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung proaktiv an der 2025 durch Frankreich und Saudi-Arabien organisierten Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung teilnehmen und im Nachgang die Weiterführung dieses Prozesses mit allen relevanten Akteur*innen, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung maßgeblich mit voranbringen. Die Umsetzung des von der Knesset beschlossenen Tätigkeitsverbots der UNRWA auf israelischem Staatsgebiet ab dem 30 Januar 2025 sollte als Zeichen der israelischen Regierung gewertet werden, die VN-Resolution 242 nicht umsetzen zu wollen. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab durch Deutschland muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
12. Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite, welche sich bislang einer politischen Lösung des Konflikts und der Existenz eines palästinensischen Staates verweigert.
13. Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften und ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.
14. Angesichts des Nahostkonflikts eine unabhängige und transparente Evaluierung des deutschen Handelns und der Fremdwahrnehmung Deutschlands im Globalen Süden durchzuführen, insbesondere in der Region Nahost und Nordafrika. Um langfristig als glaubwürdiger, wertegeleiteter Partner angesehen zu werden, wird es neben Bemühungen der strategischen Kommunikation ein umfassendes Engagement mit der dortigen Zivilgesellschaft benötigen. Diese muss in Anlehnung an die Leitlinien Feministische Außenpolitik und die Strategie für Feministische Entwicklungszusammenarbeit erfolgen, und von einer weiteren Mittelstreichung für feministische Organisationen absehen, welche sich vor Ort für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
15. Die anhaltende Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet als rechtswidrig und nicht legal anzuerkennen und so zu benennen (anstelle aktueller Sprachregelung “illegaler Siedlungsbau”). Daher ist die rechtswidrige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden. Den derzeit mit internationaler Unterstützung ausgearbeiteten Reformplänen der Palästinensischen Autorität (PA) muss umfassend Raum zur Realisierung gegeben werden, um einer reformierten PA in allen palästinensischen Gebieten die notwendige Legitimität zu verleihen. Dies ist die Voraussetzung für eine Mitgestaltung der politischen Lösung durch die PA. Alle durch Israel zurückgehaltenen Steuereinnahmen der PA sind sofort auszuzahlen. Alle Siedler sind aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren. Die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, welche dieses IGH-Gutachten angefordert hat, und der Sicherheitsrat sollten die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen, die erforderlich sind, um der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. Das mit deutscher Zustimmung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Dezember 2024 in Auftrag gegebene weitere IGH-Gutachten zu den israelischen Verpflichtungen für die Umsetzung des ersten Gutachtens vom 19. Juli 2024 ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung.
16. Bei der Aufrechterhaltung der völkerrechtswidrigen israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete ist keine deutsche und europäische Unterstützung zu leisten. Die Bundesregierung sollte im EU-Rahmen an der Entwicklung eines Mechanismus mitwirken, welcher die Umsetzung des IGH-Gutachtens zum Ziel hat.
17. Es ist sicherzustellen, dass die Bundesregierung im EU-Rahmen eine Suspendierung der handelspolitischen Elemente des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel nicht blockiert bis zur vollumfänglichen Umsetzung der Forderungen des IGH-Gutachtens, der durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen hinsichtlich der humanitären Situation in Gaza sowie der Haftbefehle des IStGH. Auch bei weiteren Initiativen für die Schaffung eines gerechten Friedens in Nahost, die durch eine Mehrheit der EU-Staaten getragen wird, sollte die Bundesregierung ein Fortkommen nicht behindert.
Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden rd. 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt, traumatisiert und ermordet. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
Das Leid der Zivilbevölkerung Gazas ist eine Tatsache. Schon vor dem Beginn des Krieges im Oktober 2023 war die Situation für die zivile Bevölkerung durch jahrelange Blockaden, wiederholte militärische Auseinandersetzung zwischen der Hamas und dem israelischen Militär und eine daraus resultierende humanitäre Krise unerträglich. Seit dem Kriegsausbruch sind zehntausende Menschen in Gaza getötet worden, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Fast alle der zwei Millionenen Palästinenser*innen im Gazastreifen mussten wiederholt ihr Zuhause verlassen und fliehen. 90 Prozent der zivilen Infrastruktur ist zerstört, viele Menschen haben alles verloren. Der Wiederaufbau der Lebensgrundlagen im Gazastreifen wird Schätzungen zufolge selbst im optimistischen Szenario bis mindestens 2034 dauern.
Bei Teilen der Bevölkerung Gazas herrschte eine Hungersnot, die sich auf das gesamte Gebiet auszuweiten drohte. Das Gesundheitssystem von Gaza wurde weitgehend zerstört. Es fehlt an Essen, Trinken, Medikamenten, wetterfesten Unterkünften und warmer Kleidung, was zu weiteren Toten führt – zuletzt sogar zu erfrorenen Neugeborenen. Durch den Zusammenbruch der zivilen Ordnung und mangelndem Zugang humanitärer Helfer*innen konnten Hilfsgüter zudem oftmals die notleidende Bevölkerung in Gaza nicht erreichen. Immer wieder kam es außerdem zu einem Wechsel der als sicher bezeichneten Gebiete. Menschen wurden dadurch erneut zur Flucht gezwungen.
Die israelische Regierung weist nach wie vor kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung und mit ihrer einseitigen Beendigung der Feuerpause sowie ihres Abbruchs der Verhandlungen für Phase 2 des Abkommens keinen politischen Willen für eine Beendigung des Leids in Gaza sowie der verbleibenden israelischen Geiseln und ihrer Familien vor. Die Wiederaufnahme der Luftangriffe auf Gaza, welche binnen weniger Stunden zahlreiche Todesopfer, davon ein Großteil Kinder und Frauen forderte, müssen in die politische Bewertung der Bundesregierung hinsichtlich in Richtung einer dringenden Politikanpassung im Nahostkonflikt fließen.
Die Vertreibung von mehr als 400.000 Palästinenser*innen aus dem Norden Gazas, die wiederholte, nun abermals seit Wochen entgegen des Abkommens der Feuerpause, Blockade jeglicher Hilfsgüter und die völlige Zerstörung jeglicher Gesundheitsinfrastruktur verschärfen die humanitäre Katastrophe noch weiter. Gleichzeitig führten das Grenzregime der israelischen Regierung, die anfänglichen Angriffe der Hamas auf die Grenzübergänge und die Plünderungen der Hilfskonvois dazu, dass die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern massiv erschwert wurde. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel diesbezüglich bereits dreimal nachdrücklich durch die Anordnung einstweiliger Maßnahmen aufgefordert, den uneingeschränkten Zugang humanitärer Güter und Helfer*innen in Gaza sicherzustellen. In seiner veröffentlichten Begründung für die Haftbefehle gegen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant benennt der IStGH die Nichterfüllung dieser Maßnahmen seitens Israel explizit als einen Faktor für deren Erlassung.
Stets haben wir uns als Sozialdemokrat*innen als Teil einer aktiven internationalen Freiheits- sowie Friedensbewegung verstanden. Der Kampf um eine gerechte Gesellschaft wird nicht nur innerstaatlich, sondern im Verbund mit der internationalen Ebene geführt. Wir bekennen uns nach wie vor zu unseren Beschlüssen “Friedenspolitik aktiv gestalten!” aus dem Jahr 2015 sowie zu “Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten” aus dem Jahr 2023 und wollen an diese anknüpfen.
Wir trauern um alle unschuldigen Opfer des Konflikts und stehen solidarisch an der Seite ihrer Angehörigen. Die Geiseln müssen freigelassen werden, die Bombardierung Gazas und die Raketenangriffe der Hamas auf Israel müssen eingestellt und die Zivilbevölkerung muss dringend mit ausreichend Nahrungsmitteln und gesundheitlich versorgt werden. Wir fordern beide Seiten zur sofortigen Rückkehr an den Verhandlungstisch zur Wiederaufnahme und vollständigen Umsetzung aller drei Phasen des Abkommens auf.
Eine sozialdemokratische Perspektive für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten muss jedoch darüber hinausgehen. Für uns ist klar: Der Einsatz für Frieden, Sicherheit und die universelle Einhaltung des Völkerrechts im Nahen Osten entspricht unseren sozialdemokratischen Werten und unserer Verpflichtung gegenüber dem internationalen Völkerrecht, wie es Art. 25 des Grundgesetzes vorgibt. Der deutschen Verantwortung zum Schutz Israels nachzukommen, bedeutet für uns auch das Eintreten für eine langfristige Friedensperspektive für Israel und seine Nachbarstaaten.
Wir Sozialdemokrat*innen stehen fest an der Seite Israels, bekennen uns zu seinem Existenzrecht und verurteilen den Terrorismus der Hamas am 7. Oktober 2023 aufs Schärfste. Der verheerende Angriff hat uns tief erschüttert. Der Schutzraum Israel für Jüd*innen weltweit, jahrzehntelang ein Zufluchtsort zunächst für die Überlebenden des Holocausts aus Europa, später Migrationsziel für Jüd*innen aus arabischen Staaten, von Algerien bis Irak, noch später aus der Sowjetunion und neuerdings u.a. aus Frankreich wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Frieden und Sicherheit Israels mit seinen Nachbarstaaten ist trotz zaghafter Normalisierungsprozesse z.B. mit den Vereinigten Arabischen Emiraten bisher eher frommer Wunsch als Realität gewesen.
Gleiche Solidarität gilt für uns Sozialdemokrat*innen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza: wir sind entsetzt über zehntausende Todesopfer sowie über die massive Zerstörung der Infrastruktur und der Lebensgrundlagen der Menschen im Gazastreifen seit Kriegsbeginn. Palästinenser*innen auch außerhalb Gazas haben ein Recht auf ein Leben frei von Not und Furcht. Dies ist für sie jedoch alles andere als Realität – ohne eigenen unabhängigen Staat, unter israelischer Besatzung im Westjordanland und auch noch Jahrzehnte nach der Nakba (Vertreibung) vertrieben oder geflüchtet in Ländern wie etwa Libanon und Jordanien, wo sie vielfach ein Dasein in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Marginalisierung fristen. Besonders schwierig war die Lage auch schon vor dem 7. Oktober 2023 in Gaza. Seit der faktischen Machtübernahme der militanten Hamas im Jahr 2007 war das Leben der Zivilbevölkerung geprägt von massiven Freiheitsbeschränkungen einschließlich Folter einerseits, aber auch durch die De-facto-Abriegelung der Außengrenzen des Gazastreifens zu Israel und Ägypten durch diese beiden Länder. Dies führte zu einer großen wirtschaftlichen und sozialen Krise und zur Abhängigkeit des Gaza-Streifens von internationalen Hilfsgütern und Geldern.
Vier Punkte erachten wir aus sozialdemokratischer Perspektive als zentral für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten:
Recht auf eine Selbstverteidigung Israels innerhalb seiner völkerrechtlich bestimmten Grenzen
Wir bekennen uns zu Israels Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel und seiner Bürgerinnen und Bürger. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet, findet aber im Völkerrecht auch seine Grenzen. Massive dokumentierte Verletzungen des humanitären und des allgemeinen Völkerrechts, wie sie seit dem 7. Oktober 2023 täglich durch das israelische Militär in Gaza geschehen sind, können und dürfen nicht mit dem völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstverteidigung gerechtfertigt und von Deutschland unterstützt werden. Die Wiederaufnahme von Kampfhandlungen, einschl. der Vollblockade jeglicher humanitärer Versorgung und die Wiederaufnahme der Bombardierung und Bodenoffensive ist vor diesem Hintergrund inakzeptabel.
Selbstbestimmungsrecht und menschenwürdiges Leben für die Palästinenser*innen
Wir treten wir für die Rechte der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung und ein menschenwürdiges Leben ein. Dies schließt die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates auf allen derzeit völkerrechtswidrig besetzten Gebieten mit ein. Für uns ist dies kein Widerspruch, sondern die zweite Seite einer verantwortungsvollen und solidarischen deutschen Außenpolitik im Nahen Osten.
In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu wahren, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs sowie des Internationalen Strafgerichtshofs und treten dafür nachhaltig international ein.
Das gezielte Aushungern (“Starvation”) der Zivilbevölkerung Gazas ist die Hauptgrundlage der Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant.
Wiederaufbau und Aufarbeitung als Voraussetzung für Frieden und Sicherheit
Für einen gerechten Frieden, welcher sowohl das Selbstbestimmungsrecht als auch die menschliche Sicherheit von Israeli*nnen und Palästinenser*innen im Rahmen der Zweistaatenlösung achtet, braucht es einen umfassenden Wiederaufbau des vollständig zerstörten Gazastreifen sowie der palästinensischen Siedlungen im Westjordanland, aus denen ihre Bewohner*innen über die letzten Jahre vertrieben wurden. Es braucht zudem eine massive internationale Perspektivenerweiterung für die Palästinenser*innen, in Form von Austauschprogrammen, Stipendien, Verwaltungs- und Städtepartnerschaften. Nur durch eine vollständige und auf Augenhöhe erfolgende IIntegration der Palästinenser*innen in die internationale Gemeinschaft kann eine nachhaltige Demilitarisierung und Demokratisierung erreicht werden. Sowohl die Verbrechen der Hamas am und nach dem 7. Oktober als auch die seither in Gaza und der Westbank mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen gegen palästinensische Zivilist*innen müssen auf beiden Seiten vollständig aufgearbeitet werden. Wo notwendig, müssen (internationale) Gerichte aktiv werden.
Die Umsetzung der Zweistaatenlösung diplomatisch vorantreiben
Die Eskalationen in der Region zeigen, dass es dringend einen neuen Anlauf für Fortschritte in der Zweistaatenlösung braucht.
Die deutsche Bundesregierung muss sich weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat und dessen friedliche Koexistenz mit Israel einsetzen, der in den Grenzen der palästinensischen Gebiete – Westbank, Gazastreifen und Ostjerusalem – von vor dem Sechstagekrieg (der Grenzen vom 4. Juni 1967) sicher und anerkannt existieren kann.
Die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Union sollte noch mehr als bisher eine aktive diplomatische Rolle übernehmen und die Friedensbemühungen in den Vereinten Nationen vorantreiben.
Gerade jetzt vor dem Hintergrund der Aussagen von Donald Trump muss sich die deutsche Bundesregierung weiterhin für einen souveränen palästinensischen Staat einsetzen. Jegliche Maßnahmen einer erzwungenen Deportation oder einer „freiwilligen Emigration“, wie durch die Trump-Administration vorgeschlagen, würden ein Kriegsverbrechen darstellen und lehnen wir deshalb vehement ab.
Am 19. Juli 2024 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) ein durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegebenes Gutachten über die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten. In diesem stellt der IGH u.a. fest, dass die anhaltende Präsenz des Staates Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig ist und alle Staaten verpflichtet sind, keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Besatzung zu leisten. Dieses Gutachten ist nicht rechtsverbindlich. Jedoch stehen die sich dem universellen Völkerrecht und Multilateralismus verpflichtende Bundesrepublik und insbesondere die SPD als internationalistische Partei in der Verantwortung, die durch die höchstrangige Institution internationaler Rechtsprechung gefassten Bewertungen unverzüglich umzusetzen.
Dies bedeutet, dass die deutsche Nahostpolitik an die Inhalte des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, ebenso wie an alle anderen gefassten Entscheidungen internationaler völkerrechtlicher Instanzen, angepasst werden muss. Dabei ist sorgfältig zwischen dem Staatsgebiet Israels und den illegal besetzten Gebieten zu unterscheiden. Diese Anpassung sollte der Bundesregierung umso eher möglich sein, als die Rechtsauffassung, dass die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig sind, seit vielen Jahren offizielle Position der Bundesrepublik und der EU ist. Das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967 steht dabei selbstverständlich außer Frage. Der Internationale Strafgerichtshof hat am 21. November 2024 Haftbefehle gegen den obersten Hamas-Führer der Qassem-Brigaden Mohammed Deif sowie den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und ehemaligen. Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Für uns ist dies ein klarer Indikator dafür, dass auch die deutsche Bundesregierung ihre Bemühungen für Deeskalation und die universelle Einhaltung des Völkerrechts verstärken muss.
Daher fordern wir:
1. Die vollumfängliche Umsetzung aller drei Phasen des vereinbarten Waffenstillstands, um weitere zivile Opfer und Zerstörung in der Region zu verhindern und die Freilassung aller Geiseln zu sichern.
2. Die israelische Regierung dazu aufzufordern, gemäß der am 26. Januar und am 28. März 2024 durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen sowie des Waffenstillstandsabkommens alle möglichen Maßnahmen zur Herstellung einer ausreichenden humanitären Versorgung Gazas zu implementieren: der vollumfängliche Zugang humanitärer Lieferungen nach Gaza, insbesondere auch durch UNRWA, die Ermöglichung einer vollständigen Wieder-Instandsetzung und Betriebsaufnahme von Krankenhäusern, ein voll funktionaler Deconfliction-Mechanismus welcher die Sicherheit aller humanitärer Helfer*innen gewährleistet, eine Einfuhrerlaubnis allen notwendigen medizinischen Geräts, die Öffnung und Offenhaltung aller verfügbaren Grenzübergänge (einschl. Häfen) für humanitäre Lieferungen – auch aus Israel selbst -, eine massive Beschleunigung der zeitraubenden Inspektionen, die multilaterale Erarbeitung und Implementierung eines umfassenden zivilen Schutz- und Wiederaufbaukonzepts einschließlich dessen Finanzierungs- und die vollumfassende Visaausstellung für humanitäres Personal der Vereinten Nationen.
3. Ein besonderes Augenmerk muss auf die angemessene Versorgung von Frauen und Kindern in Gaza gelegt werden, die inmitten der humanitären Katastrophe besonders vulnerabel sind. Dies umfasst u.a. die ausreichende Versorgung von Schwangeren und gebärenden Personen und ein Ende der Einstufung zahlreicher humanitärer Güter – z.B. Hygienekits und Datteln – als potenzielle „Dual Use“-Produkte, deren mögliche Verwendung durch die Hamas als Grund für langwierige Inspektionen und Zurückweisungen durch israelische Checkpoints dienten.
4. Angesichts der laut World Food Programme in Teilen noch bestehenden Hungersnot in Gaza soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass neben der massiv gesteigerten Einfuhr humanitäre Güter auch eine umfassende Strategie für die Prävention und Bekämpfung langfristiger Hungerfolgen für die gesamte Bevölkerung Gazas implementiert wird.
5. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das Gesundheitssystem im Gazastreifen, welches laut Ärzte ohne Grenzen, in großen Teilen zerstört wurde, mit Priorität unmittelbar wieder aufgebaut wird, um sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Die Bundesregierung sollte zudem umfassende medizinische Evakuierungs- und Behandlungsprogramme für Zivilist*innen aus Gaza umsetzen.
6. Da die israelische Regierung den durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen bisher nicht nachgekommen ist und insbesondere weiterhin kein belastbares Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung Gazas sowie deren politischer Zukunft vorlegt, muss die Bundesregierung unmittelbare Konsequenzen für ihre politische und materielle Unterstützung der israelischen Regierung beschließen. Vor diesem Hintergrund sind weitere militärische Offensiven und Abriegelungen für humanitäre Güter völlig inakzeptabel und sollten u.a. mit einem Exportstopp der in Gaza verwendeten Rüstungsgüter beantwortet werden. Gleiches muss für Rüstungsgüter gelten, welche Israel für eine expansive Verschiebung der Grenzen in Syrien und im Libanon einsetzen könnte.
7. Die Bundesregierung muss sich öffentlich dafür einsetzen, dass dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und weiteren entsprechenden (juristischen) Vertreter*innen vollumfänglicher Zugang zu palästinensischen Inhaftierten gewährt wird, sowie, dass deren Grundrechte gewahrt werden. Dies umfasst auch die Abschaffung der sog. Administrativhaft, welche eine unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage und Verfahren ermöglicht.
8. Für die Herstellung öffentlicher ziviler Ordnung in Gaza und zur Verhinderung eines (Wieder)Erstarkens der Hamas muss die Bundesregierung nachdrücklicher als bislang für die sofortige Einbindung der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Wiederaufbau auf Basis der bereits entwickelten Reformkonzepte drängen.
Neben obenstehenden Forderungen zur unmittelbaren humanitären Lage stellen wir nachstehende Forderungen hinsichtlich des mittel- bis langfristigen Engagements der Bundesregierung mit dem Ziel einer politischen Lösung des Nahostkonflikts.
„Deutschland muss sich weiterhin zum Völkerrecht und zum Völkerstrafrecht bekennen. Anders als vor nationalen Gerichten haben Staats- und Ministerpräsidenten sowie Außenminister vor internationalen Strafgerichten wie dem IStGH keine Immunität. Im Falle der Einreise einer solchen mit Haftbefehl gesuchten Person nach Deutschland, muss deren Verhaftung und die Überstellung an das Gericht erfolgen, ohne dass deutsche Behörden oder Gerichte hier ein eigenes Ermessen hätten.“
9. Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Eine möglichst zeitnahe Aufnahme des IStGH in die sog. EU-Blockingverordnung (ein EU-Instrument, welches europäische Wirtschaftsteilnehmende (z.B. Banken) vor den Auswirkungen extraterritorialer (US-) sanktionen schützt) zur Milderung der Auswirkungen von US-Sanktionen ist unabdingbar. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
10. Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung weiter dafür einsetzen, dass das durch die Vereinten Nationen zusammengestellte ein Ermittler*innenteam, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat, trotz der bisherigen Ablehnung der israelischen Regierung seine Arbeit aufnehmen kann.
11. Wir stehen zur Zwei-Staaten-Lösung. Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch Resolution 242 des VN-Sicherheitsrates von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung proaktiv an der 2025 durch Frankreich und Saudi-Arabien organisierten Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung teilnehmen und im Nachgang die Weiterführung dieses Prozesses mit allen relevanten Akteur*innen, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung maßgeblich mit voranbringen. Die Umsetzung des von der Knesset beschlossenen Tätigkeitsverbots der UNRWA auf israelischem Staatsgebiet ab dem 30 Januar 2025 sollte als Zeichen der israelischen Regierung gewertet werden, die VN-Resolution 242 nicht umsetzen zu wollen. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab durch Deutschland muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
12. Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite, welche sich bislang einer politischen Lösung des Konflikts und der Existenz eines palästinensischen Staates verweigert.
13. Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften und ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.
14. Angesichts des Nahostkonflikts eine unabhängige und transparente Evaluierung des deutschen Handelns und der Fremdwahrnehmung Deutschlands im Globalen Süden durchzuführen, insbesondere in der Region Nahost und Nordafrika. Um langfristig als glaubwürdiger, wertegeleiteter Partner angesehen zu werden, wird es neben Bemühungen der strategischen Kommunikation ein umfassendes Engagement mit der dortigen Zivilgesellschaft benötigen. Diese muss in Anlehnung an die Leitlinien Feministische Außenpolitik und die Strategie für Feministische Entwicklungszusammenarbeit erfolgen, und von einer weiteren Mittelstreichung für feministische Organisationen absehen, welche sich vor Ort für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
15. Die anhaltende Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet als rechtswidrig und nicht legal anzuerkennen und so zu benennen (anstelle aktueller Sprachregelung “illegaler Siedlungsbau”). Daher ist die rechtswidrige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden. Den derzeit mit internationaler Unterstützung ausgearbeiteten Reformplänen der Palästinensischen Autorität (PA) muss umfassend Raum zur Realisierung gegeben werden, um einer reformierten PA in allen palästinensischen Gebieten die notwendige Legitimität zu verleihen. Dies ist die Voraussetzung für eine Mitgestaltung der politischen Lösung durch die PA. Alle durch Israel zurückgehaltenen Steuereinnahmen der PA sind sofort auszuzahlen. Alle Siedler sind aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren. Die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, welche dieses IGH-Gutachten angefordert hat, und der Sicherheitsrat sollten die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen, die erforderlich sind, um der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. Das mit deutscher Zustimmung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Dezember 2024 in Auftrag gegebene weitere IGH-Gutachten zu den israelischen Verpflichtungen für die Umsetzung des ersten Gutachtens vom 19. Juli 2024 ist ein notwendiger Schritt in diese Richtung.
16. Bei der Aufrechterhaltung der völkerrechtswidrigen israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete ist keine deutsche und europäische Unterstützung zu leisten. Die Bundesregierung sollte im EU-Rahmen an der Entwicklung eines Mechanismus mitwirken, welcher die Umsetzung des IGH-Gutachtens zum Ziel hat.
17. Es ist sicherzustellen, dass die Bundesregierung im EU-Rahmen eine Suspendierung der handelspolitischen Elemente des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel nicht blockiert bis zur vollumfänglichen Umsetzung der Forderungen des IGH-Gutachtens, der durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen hinsichtlich der humanitären Situation in Gaza sowie der Haftbefehle des IStGH. Auch bei weiteren Initiativen für die Schaffung eines gerechten Friedens in Nahost, die durch eine Mehrheit der EU-Staaten getragen wird, sollte die Bundesregierung ein Fortkommen nicht behindert.