L10 Dem Völkerrecht verpflichtet: Anpassung der deutschen Israelpolitik an die internationale Rechtsprechung

Status:
Nicht abgestimmt

Die Kreisdelegiertenversammlung der SPD Mitte möge beschließen,

Der Landesparteitag der SPD Berlin möge beschließen,
Der Bundesparteitag der SPD möge beschließen,
Die SPD-Bundestagsfraktion möge beschließen,
Der SPD-Bundesvorstand möge beschließen,

Mit diesem Antrag wollen wir Deutschlands aus der Schuld für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust erwachsenen besonderen Verantwortung für die Sicherheit jüdischen Lebens weltweit, für das Existenzrecht Israels in den völkerrechtlich festgestellten Grenzen vom 4.6.1967 und für die Schaffung eines Zustands, der auf der regelbasierten, internationalen völkerrechtlichen und humanitären Ordnung beruht, gerecht werden. Der Antrag knüpft an den Beschluss des Berliner Landesvorstands 100/1/2024 vom 10.6.2024 an, den wir uns vollumfänglich zu eigen machen, u.a.:

„ Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden über 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt und traumatisiert. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden 134 israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Noch immer gibt es Raketenangriffe auf Israel, nicht nur von der Hamas, sondern auch durch das iranische Regime und die Hisbollah im Libanon. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
1. Aus all dem folgt das Recht Israels auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet und findet im Völkerrecht auch seine Grenzen. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs und des internationalen Strafgerichtshof.
(…)
Je höher die Zahl der zivilen Opfer steigt, desto verzweifelter wird die Situation der Menschen im Gazastreifen und desto schwerer wird jede friedliche Entwicklung in der Region. Dafür ist auch die Hamas in Verantwortung zu nehmen, welche in den Verhandlungen um Geiselfreilassung und Waffenstillstand bislang zu langsam und zu wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt hat und deren Demilitarisierung unbedingter Teil jeglicher politischen Lösung sein muss.
(…)
Wir verurteilen den grausamen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel. Die Sicherheit Israels und seiner Bevölkerung ist deutsche Staatsräson. Die Bundesregierung ist aufgefordert, im Rahmen ihrer diplomatischen Beziehungen und im Zusammenwirken mit internationalen Verbündeten alle Einwirkungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die Hamas zur unverzüglichen und bedingungslosen Freilassung der Geiseln zu bewegen.
(…)
Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen ein Ermittler*innenteam zusammenstellt, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat.
Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch VN-Resolution 242 von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung zeitnah eine Konferenz mit allen relevanten Akteuren, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung anregen und mitorganisieren. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren, z.B. auf Basis des 10-Punkte-Plans des Hohen Vertreters Borrell. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite (im Sinne einer anhaltenden Verweigerung einer politischen Resolution des Konflikts)
Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften, ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.“

Die nachfolgenden Forderungen im Hinblick auf den Nahostkonflikt verstehen wir als Bausteine hin zu einem Prozess zu einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern. Wir wollen dabei dem Prinzip der doppelten Solidarität mit beiden Seiten treu bleiben. Weder Terrorakte wie der Hamas-Angriff am 7. Oktober und die anschließende und bis heute andauernde Geiselnahme, noch die fortwährende Zerstörung der Lebensgrundlagen und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung sind Garanten für Frieden. Es bedarf einer umfassenden Anstrengung aller Akteure und der Bereitschaft zu vertrauensbildenden Maßnahmen, wenn ein langfristiger Frieden angestrebt werden soll.
Am 19. Juli 2024 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) sein durch die VN-Generalversammlung in Auftrag gegebenes Gutachten zur israelischen Besatzungspolitik veröffentlicht, in welchem er nachstehende völkerrechtliche Schlussfolgerungen aufstellt:
● Die anhaltende Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ist rechtswidrig;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, seine rechtswidrige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, alle neuen Siedlungsaktivitäten sofort einzustellen und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, den Schaden zu entschädigen, der allen betroffenen natürlichen oder juristischen Personen im besetzten palästinensischen Gebiet zugefügt wurde;
● Alle Staaten sind verpflichtet, die Situation, die sich aus der unrechtmäßigen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen und keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten entstanden ist;
● Internationale Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, sind verpflichtet, die Situation, die sich aus der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als legal anzuerkennen;
● Die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, die diese Stellungnahme angefordert hat, und der Sicherheitsrat sollten die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen, die erforderlich sind, um der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich ein Ende zu setzen.

Dieses Gutachten ist nicht rechtsverbindlich. Jedoch stehen die sich dem Völkerrecht und Multilateralismus verpflichtende Bundesrepublik und insbesondere die SPD als internationalistische Partei in der Verantwortung, die durch die höchstrangige Institution internationaler Rechtsprechung gefassten Entscheidungen unverzüglich umzusetzen. Dies bedeutet, dass die deutsche Nahostpolitik an die Inhalte des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, ebenso wie an alle anderen gefassten Entscheidungen internationaler völkerrechtlicher Instanzen, angepasst werden muss. Dabei ist sorgfältig zwischen dem Staatsgebiet Israels und den illegal besetzten Gebieten zu unterscheiden. Diese Anpassung sollte der Bundesregierung umso eher möglich sein als die Rechtsauffassung, dass die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig sind, seit vielen Jahren offizielle Position der Bundesrepublik und der EU ist. Das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen vom 4.6.1967 steht dabei selbstverständlich außer Frage.

Wir fordern deshalb:

  • Sicherzustellen, dass Bundesregierungen mit SPD-Beteiligung zukünftig die Jurisdiktion von IGH, Internationalem Strafgerichtshof (IStGH) und weiteren internationalen Gerichten hinsichtlich Fällen in den palästinensischen Gebieten nicht mehr anfechten.
  • Sicherzustellen, dass Bundesregierungen mit SPD-Beteiligung durch internationale Gerichte im Nahostkonflikt gefällte Urteile, verhängte einstweilige Maßnahmen und veröffentlichte Gutachten unverzüglich überall dort umsetzen, wo der eigene Handlungsspielraum es zulässt. Dies schließt neben dem öffentlichen Eintreten für die vollständige Umsetzung des IGH-Gutachtens insbesondere die öffentliche kritische Ansprache im Falle der Nichtumsetzung mit ein.
  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung sich im EU-Rahmen für die Suspendierung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel bis zur vollumfänglichen Umsetzung der Forderungen des IGH-Gutachtens, der durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen hinsichtlich der humanitären Situation in Gaza sowie etwaiger Haftbefehle des IStGH einsetzt.
  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung sich im EU-Rahmen bis zur vollumfänglichen Umsetzung des IGH-Gutachtens für eine schrittweise Sanktionierung von

– israelischen Siedler*innen (wie erstmals im April 2024 geschehen)
– israelischen Staatsbediensteten, welche die völkerrechtswidrige Besatzung umsetzen,
– israelischen Parlamentsabgeordneten
– israelischen Kabinettsmitgliedern

einsetzt, welche der Umsetzung des IGH-Gutachtens, einschließlich der sofortigen Beendigung der illegalen Besatzung sowie der Zahlung von Reparationen, entgegenwirken.

  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung im EU-Rahmen an der Entwicklung eines Mechanismus mitwirkt, welcher die Umsetzung von Schlussfolgerung Nr. 7 des IGH-Gutachtens zum Ziel hat (keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten entstanden ist). Dies betrifft insbesondere den Entzug jedweder politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Aufrechterhaltung der illegalen Besetzung der palästinensischen Gebiete und umfasst damit auch hierfür notwendige Embargos und Wirtschaftssanktionen.
  • Da die 2019 durch den Bundestag verabschiedete, nicht rechtsverbindliche Resolution in der Praxis in weitgehendes behördliches Handeln umgesetzt wird, gilt es, diese an das IGH-Gutachten anzupassen. Aufrufe zu und Teilhabe an einem Boykott der wirtschaftlichen Strukturen, welche die Aufrechterhaltung der illegalen Besatzung der 1967 eroberten palästinensischen Gebiete begünstigen, sind nach dem IGH-Gutachten berechtigt. Diese Anpassung darf ausdrücklich nicht das israelische Staatsgebiet in den Grenzen vom 4.6.1967 betreffen.
Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: Kreisvorstand
Fassung der Antragskommission:

Die Kreisdelegiertenversammlung der SPD Mitte möge beschließen,

Der Landesparteitag der SPD Berlin möge beschließen,
Der Bundesparteitag der SPD möge beschließen,
Die SPD-Bundestagsfraktion möge beschließen,
Der SPD-Bundesvorstand möge beschließen,

Mit diesem Antrag wollen wir Deutschlands aus der Schuld für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust erwachsenen besonderen Verantwortung für die Sicherheit jüdischen Lebens weltweit, für das Existenzrecht Israels in den völkerrechtlich festgestellten Grenzen vom 4.6.1967 und für die Schaffung eines Zustands, der auf der regelbasierten, internationalen völkerrechtlichen und humanitären Ordnung beruht, gerecht werden. Der Antrag knüpft an den Beschluss des Berliner Landesvorstands 100/1/2024 vom 10.6.2024 an, den wir uns vollumfänglich zu eigen machen, u.a.:

„ Am 7. Oktober 2023 wurde durch die Terrororganisation Hamas ein grausamer Terroranschlag auf Israel verübt, der in seiner Brutalität einzigartig ist. Mehrere tausend schwer bewaffnete Terroristen der Hamas drangen in Israel ein. Israel wurde massiv mit Raketen beschossen. Während des Anschlags wurden über 1200 Menschen brutal ermordet, die meisten davon Zivilist*innen. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde nachweislich als Waffe eingesetzt. Viele weitere Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden verletzt und traumatisiert. Rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden 134 israelische Geiseln in Gaza festgehalten. Der 7. Oktober 2023 markiert den größten Massenmord an Jüdinnen*Juden seit der Shoah. Noch immer gibt es Raketenangriffe auf Israel, nicht nur von der Hamas, sondern auch durch das iranische Regime und die Hisbollah im Libanon. Vertreter des militärischen Hamas-Flügels wiederholen bis heute ihr Ziel, Israel auslöschen zu wollen.
1. Aus all dem folgt das Recht Israels auf Selbstverteidigung im Rahmen der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Das Selbstverteidigungsrecht und die deutsche Unterstützung zu dieser ist völkerrechtlich begründet und findet im Völkerrecht auch seine Grenzen. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund bekennen wir uns zu den Regeln des internationalen Rechts und unterstützen die Unabhängigkeit des Internationalen Gerichtshofs und des internationalen Strafgerichtshof.
(…)
Je höher die Zahl der zivilen Opfer steigt, desto verzweifelter wird die Situation der Menschen im Gazastreifen und desto schwerer wird jede friedliche Entwicklung in der Region. Dafür ist auch die Hamas in Verantwortung zu nehmen, welche in den Verhandlungen um Geiselfreilassung und Waffenstillstand bislang zu langsam und zu wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt hat und deren Demilitarisierung unbedingter Teil jeglicher politischen Lösung sein muss.
(…)
Wir verurteilen den grausamen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel. Die Sicherheit Israels und seiner Bevölkerung ist deutsche Staatsräson. Die Bundesregierung ist aufgefordert, im Rahmen ihrer diplomatischen Beziehungen und im Zusammenwirken mit internationalen Verbündeten alle Einwirkungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die Hamas zur unverzüglichen und bedingungslosen Freilassung der Geiseln zu bewegen.
(…)
Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die internationale Gemeinschaft müssen laufende Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit diesem Konflikt priorisieren. Hierfür müssen zeitnah ausreichend Mittel bereitgestellt und unbedingte Kooperation seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der israelischen Regierung eingefordert werden, um zügige und effektive Ermittlungen zu ermöglichen. Jegliche politische Druckausübung gegenüber dem IStGH – oder auch dem IGH – sollte von der Bundesregierung öffentlich als Untergrabung der Glaubwürdigkeit der internationalen Völkerrechtsinstitutionen kritisiert werden. Die Bundesregierung sollte sich multilateralen Bestrebungen einer völkerrechtlichen Bewertung der systematischen Blockade humanitärer Güter anschließen.
Aus einer feministischen Perspektive ist insbesondere die umfassende Aufklärung und Aufarbeitung berichteter Fälle von sexualisierter Gewalt unabdinglich – allen voran der Verbrechen der Hamas, allerdings auch der Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt an palästinensischen Frauen, Jungen und Männern durch Mitglieder der Israel Defense Forces. Beides braucht ein hohes Maß an Sensibilität und Erfahrung. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen ein Ermittler*innenteam zusammenstellt, welches bereits Erfahrungen mit der Aufklärung von Sexualstraftaten in bewaffneten Konflikten hat.
Für die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung auf Basis der durch VN-Resolution 242 von 1967 bestimmten Grenzen soll die Bundesregierung eine proaktivere und nachdrücklichere Rolle als bisher einnehmen. Deshalb sollte die Bundesregierung zeitnah eine Konferenz mit allen relevanten Akteuren, einschließlich zivilgesellschaftlicher Vertreter*innen, zur Erreichung einer Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas-Beteiligung anregen und mitorganisieren. Auch die Anerkennung einer palästinensischen Staatlichkeit vorab muss in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden.
Für die perspektivische Anerkennung eines palästinensischen Staates muss die Bundesregierung im Verbund mit gleichgesinnten EU-Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Auswärtigen Dienst Kriterien definieren, z.B. auf Basis des 10-Punkte-Plans des Hohen Vertreters Borrell. Dies gilt sowohl für die palästinensische (im Sinne einer Demokratisierung, Deradikalisierung, Hamas-Demilitarisierung und Liberalisierung des politischen Systems) als auch für die israelische Seite (im Sinne einer anhaltenden Verweigerung einer politischen Resolution des Konflikts)
Die Bundesregierung muss außerdem eine Gaza-Wiederaufbaukonferenz initiieren und mitorganisieren. Dabei muss die aktive Gestaltung durch lokale, regionale und zivilgesellschaftliche Akteure von Anfang an priorisiert werden. Für eine funktionierende palästinensische Zivilverwaltung und die Schaffung einer demokratischen, liberalen palästinensischen Gesellschaft fernab von Trauma und Gewalt wird es entschlossenere internationale Unterstützung als bislang benötigen. Deutschland muss sich hier in Form eines dauerhaften, ambitionierten Aufbauplans engagieren, welcher neben finanzieller Unterstützung vor Ort auch im großen Stil Stipendien, Austauschprogramme und Projekte zur Völkerverständigung für die Menschen in Gaza und im Westjordanland bereitstellt.“

Die nachfolgenden Forderungen im Hinblick auf den Nahostkonflikt verstehen wir als Bausteine hin zu einem Prozess zu einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern. Wir wollen dabei dem Prinzip der doppelten Solidarität mit beiden Seiten treu bleiben. Weder Terrorakte wie der Hamas-Angriff am 7. Oktober und die anschließende und bis heute andauernde Geiselnahme, noch die fortwährende Zerstörung der Lebensgrundlagen und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung sind Garanten für Frieden. Es bedarf einer umfassenden Anstrengung aller Akteure und der Bereitschaft zu vertrauensbildenden Maßnahmen, wenn ein langfristiger Frieden angestrebt werden soll.
Am 19. Juli 2024 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) sein durch die VN-Generalversammlung in Auftrag gegebenes Gutachten zur israelischen Besatzungspolitik veröffentlicht, in welchem er nachstehende völkerrechtliche Schlussfolgerungen aufstellt:
● Die anhaltende Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ist rechtswidrig;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, seine rechtswidrige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, alle neuen Siedlungsaktivitäten sofort einzustellen und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren;
● Der Staat Israel ist verpflichtet, den Schaden zu entschädigen, der allen betroffenen natürlichen oder juristischen Personen im besetzten palästinensischen Gebiet zugefügt wurde;
● Alle Staaten sind verpflichtet, die Situation, die sich aus der unrechtmäßigen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen und keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten entstanden ist;
● Internationale Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, sind verpflichtet, die Situation, die sich aus der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten ergibt, nicht als legal anzuerkennen;
● Die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, die diese Stellungnahme angefordert hat, und der Sicherheitsrat sollten die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen, die erforderlich sind, um der rechtswidrigen Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich ein Ende zu setzen.

Dieses Gutachten ist nicht rechtsverbindlich. Jedoch stehen die sich dem Völkerrecht und Multilateralismus verpflichtende Bundesrepublik und insbesondere die SPD als internationalistische Partei in der Verantwortung, die durch die höchstrangige Institution internationaler Rechtsprechung gefassten Entscheidungen unverzüglich umzusetzen. Dies bedeutet, dass die deutsche Nahostpolitik an die Inhalte des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, ebenso wie an alle anderen gefassten Entscheidungen internationaler völkerrechtlicher Instanzen, angepasst werden muss. Dabei ist sorgfältig zwischen dem Staatsgebiet Israels und den illegal besetzten Gebieten zu unterscheiden. Diese Anpassung sollte der Bundesregierung umso eher möglich sein als die Rechtsauffassung, dass die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig sind, seit vielen Jahren offizielle Position der Bundesrepublik und der EU ist. Das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen vom 4.6.1967 steht dabei selbstverständlich außer Frage.

Wir fordern deshalb:

  • Sicherzustellen, dass Bundesregierungen mit SPD-Beteiligung zukünftig die Jurisdiktion von IGH, Internationalem Strafgerichtshof (IStGH) und weiteren internationalen Gerichten hinsichtlich Fällen in den palästinensischen Gebieten nicht mehr anfechten.
  • Sicherzustellen, dass Bundesregierungen mit SPD-Beteiligung durch internationale Gerichte im Nahostkonflikt gefällte Urteile, verhängte einstweilige Maßnahmen und veröffentlichte Gutachten unverzüglich überall dort umsetzen, wo der eigene Handlungsspielraum es zulässt. Dies schließt neben dem öffentlichen Eintreten für die vollständige Umsetzung des IGH-Gutachtens insbesondere die öffentliche kritische Ansprache im Falle der Nichtumsetzung mit ein.
  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung sich im EU-Rahmen für die Suspendierung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel bis zur vollumfänglichen Umsetzung der Forderungen des IGH-Gutachtens, der durch den IGH erlassenen einstweiligen Maßnahmen hinsichtlich der humanitären Situation in Gaza sowie etwaiger Haftbefehle des IStGH einsetzt.
  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung sich im EU-Rahmen bis zur vollumfänglichen Umsetzung des IGH-Gutachtens für eine schrittweise Sanktionierung von

– israelischen Siedler*innen (wie erstmals im April 2024 geschehen)
– israelischen Staatsbediensteten, welche die völkerrechtswidrige Besatzung umsetzen,
– israelischen Parlamentsabgeordneten
– israelischen Kabinettsmitgliedern

einsetzt, welche der Umsetzung des IGH-Gutachtens, einschließlich der sofortigen Beendigung der illegalen Besatzung sowie der Zahlung von Reparationen, entgegenwirken.

  • Sicherzustellen, dass die Bundesregierung im EU-Rahmen an der Entwicklung eines Mechanismus mitwirkt, welcher die Umsetzung von Schlussfolgerung Nr. 7 des IGH-Gutachtens zum Ziel hat (keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten entstanden ist). Dies betrifft insbesondere den Entzug jedweder politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Aufrechterhaltung der illegalen Besetzung der palästinensischen Gebiete und umfasst damit auch hierfür notwendige Embargos und Wirtschaftssanktionen.
  • Da die 2019 durch den Bundestag verabschiedete, nicht rechtsverbindliche Resolution in der Praxis in weitgehendes behördliches Handeln umgesetzt wird, gilt es, diese an das IGH-Gutachten anzupassen. Aufrufe zu und Teilhabe an einem Boykott der wirtschaftlichen Strukturen, welche die Aufrechterhaltung der illegalen Besatzung der 1967 eroberten palästinensischen Gebiete begünstigen, sind nach dem IGH-Gutachten berechtigt. Diese Anpassung darf ausdrücklich nicht das israelische Staatsgebiet in den Grenzen vom 4.6.1967 betreffen.
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